01.12.2021 | Pharma Innovation

Interview mit Andrew Whytock | Siemens

Software ist der Schlüssel zur Digitalisierung. Sie kann die Entwicklungszeit verkürzen und die Produktion beschleunigen. Andrew Whytock, Head of Digital for Pharmaceuticals bei Siemens, geht ins Detail.

ACHEMA Inspire: Die Digitalisierung könnte ein Beschleunigungsfaktor sein. Wie digitalisiert ist die Pharmaindustrie derzeit?

  • __Andrew Whytock: Die Digitalisierung kann in der Tat dazu beitragen, sowohl den Entwicklungsprozess als auch die Herstellung zu beschleunigen. Diese beiden Bereiche sollten getrennt und dann als Ganzes betrachtet werden. Die jüngsten Bemühungen im Zusammenhang mit der Pandemie haben deutlich gemacht, dass Herstellung und Entwicklung in kleinen Silos abliefen, die jeweils in ihrem eigenen Umfeld bis zu einem gewissen Grad digitalisiert waren, aber nur wenige Verbindungen zwischen ihnen aufwiesen. Ein Beispiel hierfür ist das Unternehmen BioNTech, das die Entwicklung beschleunigte und dann einen digitalisierten Produktionsprozess anstrebte, indem es Software und Automatisierungswerkzeuge zur Steuerung des Prozesses in seinem neuen Werk in Marburg einsetzte. Siemens war maßgeblich daran beteiligt, den neuen Prozess in weniger als fünf Monaten einzurichten. Wie in vielen pharmazeutischen Betrieben gibt es immer noch viele manuelle Schritte, vor allem bei der Vorbereitung und Verarbeitung, so dass immer noch weiteres Potenzial zur Optimierung, Automatisierung und Digitalisierung besteht. Den Prozess als Ganzes zu betrachten und die gesamte Wertschöpfungskette zu digitalisieren, wird eine echte Verbesserung bringen. 

ACHEMA Inspire: Siemens spricht von einer durchgängigen Digital Enterprise Solution - wie sieht Ihr Ansatz in Bezug auf die Pharmaindustrie aus?

  • __Andrew Whytock: Unser umfassender Ansatz deckt die realen und virtuellen Welten von Produkt, Prozess und Produktion ab. Das kann mit dem Produkt- und Prozessdesign beginnen, über die Simulation und Modellierung bis hin zur Software, die dann in die Fertigung und die Lieferkette übergeht, oft unterstützt durch cloudbasierte Analysen und Anwendungen. Dies kann bei der Wirkstoffherstellung (Primärverarbeitung) und der Herstellung des formulierten Produkts selbst (Sekundärverarbeitung) geschehen. Wir haben eine Reihe von Software-Anwendungen und -Lösungen in unserem Portfolio, deren gemeinsames Element darin besteht, eine virtuelle oder digitale Umgebung zu nutzen, um ein besseres Verständnis und/oder eine höhere Effizienz in der realen Welt zu erreichen - das ist das Konzept des digitalen Zwillings.

ACHEMA Inspire: Was sind die Vorteile einer Implementierung des digitalen Zwillings?

  • __Andrew Whytock:

    Jeden Tag werden Millionen von Impfstoffdosen produziert: Die Hersteller setzen auf die Digitalisierung, um den Prozess zu beschleunigen. In Zusammenarbeit mit unseren Projektpartnern planen wir die Einführung digitaler Zwillinge des gesamten Impfstoffherstellungsprozesses für alle zukünftigen Impfstoffe und könnten diese auch bei der Entwicklung unserer Impfstoffe einsetzen.
    Mit anderen Worten: Zwillinge des Produkts, der Produktion und der Leistung werden miteinander verknüpft sein. Diese bieten einen hohen Mehrwert bei biologischen Prozessen oder dort, wo Elemente wie physikalische Modelle besser verstanden werden müssen, wie beim Impfprozess. Dies würde die Überwachung und Kontrolle aller Prozesse verbessern. Das Prinzip der "Co-Simulation" ist der Schlüssel: Zunächst werden Zwillinge einzelner Teilprozesse erstellt - von der Zellkulturfermentation über die Aufreinigung bis hin zur spezifischen Formulierung und dem Abfüllprozess, die später zusammengeführt werden.

ACHEMA Inspire: Welche Ihrer Softwarelösungen realisieren einen digitalen Zwilling?

  • __Andrew Whytock: Mit Hilfe von mechanischen Modellen und künstlicher Intelligenz (KI) haben wir ein Hybridmodell entwickelt, um den Prozess zu simulieren und zu überwachen. Die kritischen Prozessparameter, die wir identifiziert haben, waren die Konzentration und Temperatur in den Zufuhrtanks für die Phospholipide, das Durchflussvolumen in beiden Zufuhrtanks und das Durchflussvolumenverhältnis. Neben der Größe der Adjuvans-Partikel ist ein entscheidender Faktor für ihre Qualität die Menge des pharmazeutischen Wirkstoffs (API), den sie transportieren können. Beide Eigenschaften können mit Hilfe der Prozessanalytik (PAT) überwacht werden: Die Nahinfrarotspektroskopie (NIR) untersucht die chemische Konzentration (API=), und die dynamische Lichtstreuung (DLS) misst die Größe. Der resultierende digitale Zwilling des Prozesses basiert also auf Simulation, KI, Automatisierung und PAT.

ACHEMA Inspire: In der Pharmabranche werden industrielle Softwarelösungen die Zukunft sein. Könnten Sie die Rolle, die sie Ihrer Meinung nach spielen werden, näher erläutern?

  • __Andrew Whytock:

    Das Konzept des digitalen Unternehmens gilt für alle Branchen. In unserer Branche ist Qualität der Schlüssel, und die Kosten für die Sicherstellung der Qualität sind hoch, vor allem wenn man die große Anzahl manueller Prozesse berücksichtigt. Die Automatisierung bringt einige Vorteile mit sich, aber ein MES-System, wie unser Opcenter Execution Pharma, ermöglicht eine papierlose Fertigung und ist eine Plattform, die hilft, schneller zu sein.

    Darüber hinaus entwickeln wir spezielle Pharma-Apps, die die Daten, die während des gesamten Prozesses gesammelt werden, nutzen, um die Freigabe von Chargen in Ausnahmefällen und in Echtzeit zu ermöglichen. Bei der MRNA-Produktion von BioNTech gibt es über 50.000 verschiedene Herstellungsschritte in einer Charge, die aufgezeichnet und überprüft werden müssen. Digitale Lösungen helfen uns nicht nur, die Überprüfungszeit zu verkürzen, sondern auch potenzielle Fehler aufzuspüren, um Umformulierungen und Verschwendung zu vermeiden.

| Originalversion veröffentlicht in ACHEMA Inspire, Ausgabe Dezember 2021/Deutsche Übersetzung durch DECHEMA Ausstellungs-GmbH |

Autor

Richard Burton

Editor / World Show Media

www.worldshowmedia.net

Schlagwörter in diesem Artikel:

#digitalisierung, #künstliche intelligenz, #pharma

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