24.07.2020 | Spotlight

Neue Wege zur Finanzierung der Prozessindustrie

So erobert Blockchain die Prozessindustrie

Die Blockchain findet ihren Weg in die Prozessindustrie über die Finanzabteilung von Unternehmen. Sie trägt dazu bei, den Cash-Conversion-Cycle drastisch zu verkürzen und ermöglicht dem Lieferanten einen früheren Zugang zu Liquidität.
Wer chemische Produkte kauft, möchte sie ständig verfügbar wissen. Um Lieferbarkeit und Qualität zu gewährleisten, treiben Lieferanten einen hohen Aufwand, um ganze Lieferketten mit Messtechnik und Sensoren zu überwachen, zu automatisieren und zu digitalisieren. Jetzt können Lieferungen nach Bedarf gesteuert und ausgeführt werden, um sicherzustellen, dass der Warenfluss den Anforderungen des Kunden entspricht.

Aktivierung von Vermögenswerten in der Bilanz

Neben der verbrauchsabhängigen Bereitstellung durch z.B. Vendor Managed Inventory (VMI) ist die automatisierte verbrauchsabhängige Finanzierung der nächste Schritt, um gebundenes Kapital in der Lieferkette freizusetzen und damit Kapital- und Transaktionskosten zu reduzieren. Tatsächlich decken die Zahlungsbedingungen in der heutigen Produktionswirtschaft nur noch einen Teil der Zeit ab, in der das Kapital im Umlaufvermögen gebunden ist. Hinzu kommen Produktions-, Transport- und Lagerzeiten. Wenn die Ware das Lager des Produzenten verlassen hat kann es mehrere Monate dauern, bis sie im Lager des Kunden angekommen ist, eingelagert wurde und bezahlt ist. Innovative Ansätze wie Factoring können diese unproduktiven Zeiten verkürzen. Das geht aber nur mit erheblichem Verwaltungsaufwand (oder gar nicht), obwohl in der Lieferkette weltweit ein potentielles Finanzierungsvolumen von Hunderten Milliarden Euro gebunden ist. Während die Käufer von langen Zahlungsfristen und Konsignationsvereinbarungen profitieren, tragen die Verkäufer die Kosten in Form der Finanzierung des Umlaufvermögens.
Würde die Rechnung ausgestellt und bezahlt (oder durch einen Partner finanziert), sobald ein Produkt bestellt oder konsumiert wird, z.B. aus einem Konsignationslager, würde der Cash-to-Cash-Zyklus deutlich beschleunigt und der Druck auf den Lieferanten verringert. Meist kann dies nicht vollständig automatisiert werden, weil die Datenqualität nicht ausreicht; erst wenn der Empfänger die Versandanzeige erhalten hat, ist ein rechtsverbindlicher Existenznachweis erbracht. Häufig sind Aufträge auch zu klein, als dass Banken eine attraktive Finanzierungslösungen vorschlagen könnten, und müssen deshalb manuell bearbeitet werden.

Distributed-Ledger-Technologien stärken das Vertrauen

Innovative Technologien wie die Blockchain - und Distributed-Ledger-Technologie (DLT) im Allgemeinen - werden eine wichtige Rolle spielen, um autonome Zahlungen in der Industrie möglich zu machen. Die Blockchain-Technologie kann das Vertrauen, die Transparenz und den Datenschutz von Geschäftsprozessen verbessern, indem sie ein gemeinsames, dezentralisiertes, verteiltes System für Informationen bereitstellt, das von verschiedenen Akteuren im Prozess gleichzeitig verwendet werden kann. Eine Blockchain kann daher zur Speicherung von Daten aus IoT-Geräten wie Sensoren oder Maschinen verwendet werden. Es ermöglicht abgestimmte und standardisierte Datenstandards zwischen mehreren Parteien.
Wenn Daten auf einer Blockchain gesammelt werden, sind sie auch vor Manipulationen geschützt, solange nicht alle beteiligten Parteien zustimmen. Sobald eine Blockchain in Kombination mit Füllstandsmessern verwendet wird, ist der Proof-of-Existence für den Bestand möglich; er gibt an, welche Menge einer Ware zu welchem Zeitpunkt an einem bestimmten Ort gelagert wurde. Informationen, die auf der Blockchain gespeichert sind, sind unveränderlich. Sie dienen als perfekte Grundlage für autonome Prozesse, da weitere Bestandsprüfungen überflüssig werden.

Pay-per-use bei Chemikalien

Statt jeden Monat den Füllstand zu messen und eine Rechnung zu stellen können Sensoren verwendet werden, um die Lagerbestände in jedem Silo kontinuierlich zu messen. Diese Informationen werden auf einer Blockchain zwischen dem Lieferanten und dem Kunden aufgezeichnet. Diese Daten sind so hochwertig, dass jede Bestandsmessung einem Proof-of-Existence für das Material entspricht. Jede Lagerbewegung ist deshalb ein Nachweis für den Verbrauch durch den Kunden oder für eine neue Lieferung. Anstatt den verbrauchten Bestand monatlich zu bezahlen, löst die Information auf der Blockchain direkt einen entsprechenden Zahlungsvorgang aus. Jedes Mal, wenn ein Verbrauch gemessen und auf der Blockchain aufgezeichnet wird, wird eine Rechnung erstellt und die Zahlung des Kunden überprüft. Diese Vorgehensweise beschleunigt den Cash-to-Cash-Zyklus drastisch und ermöglicht dem Lieferanten einen früheren Zugang zu Liquidität. Da die meisten Kunden nicht daran interessiert sind schneller zu bezahlen, kann eine Bank für jeden Verbrauch die sofortige Finanzierung zur Verfügung stellen.
Zum einen bietet dieses System den Zugang zu billiger Liquidität, zum anderen kann jedes Silo oder Lagersystem als eigenständiges Profitcenter arbeiten. Dies erhöht die Transparenz, ermöglicht Prozesskostenrechnung und macht die zugrunde liegenden Vermögenswerte für institutionelle Investoren zugänglich und verbriefbar (Tokenisierung). An vorhandene Systeme angebunden können alle manuellen Schritte des Bestell- und Fakturierungsprozesses überflüssig gemacht werden. Richtig eingerichtet würden alle genannten Prozesse monatelang autonom und ohne jegliches menschliche Zutun ablaufen. 

 

Autor

Tony Oehm

ist COO der AZHOS AG, die Lösungen für die Finanzierung und das Management von Supply Chains für die Chemie- und Ölindustrie anbietet und dabei Blockchain Technologie einsetzt.
www.azhos.io
oehm[at]azhos.io

Autor

Prof. Dr. Philipp Sandner

leitet das Frankfurt School Blockchain Center (FSBC) an der Frankfurt School of Finance & Management und ist laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) einer der "Top 30" Wirtschaftswissenschaftler 2018.
www.fs.de/blockchain
p.sandner[at]fs.de

Autor

Jonas Gross

ist Projektmanager und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Frankfurt School Blockchain Center (FSBC), spezialisiert auf Kryptowährungen und digitale Währungen von Zentralbanken.

www.fs.de/blockchain
jonas.gross[at]fs-blockchain.de

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