07.10.2020 | Spotlight

Vier Fragen an Nils Weber

Geschäftsführer der NAMUR - Interessengemeinschaft Automatisierungstechnik der Prozessindustrie e.V.

Wie fing das an mit der Modularisierung?

  • __ Nils Weber: Die erste größere Initiative in Deutschland/Europa war das F3 Factory Projekt – flexible, fast and future factory. Die EU hat es ab 2009 vier Jahre lang gefördert und da waren schon alle wichtigen Global Player mit an Bord: Bayer, BASF, Evonik, Ehrfeld Mikrotechnik, Buss-SMS-Canzler und noch viele mehr. Im Rahmen des Projekts hat die Forschungsgesellschaft INVITE ein Technologiezentrum gebaut. Dort wurden modulare Anlagen im Container-Maßstab entwickelt, das waren die allerersten Vorläufer. Die Konzepte sind mittlerweile sehr weit gediehen, die ersten industriellen Prototypen gibt es bereits. Daraus ist dann das Thema Module Type Package (MTP) erwachsen, um das sich heute sehr viel dreht.

Welche Rolle spielt die NAMUR dabei?

  • __ Nils Weber: Wir vertreten seit 1949 die Interessen der Prozessindustrie auf dem Gebiet der Automatisierungstechnik. Seit einigen Jahren arbeiten wir gemeinsam mit dem ZVEI, dem VDMA-Fachverband VtMA, dem Biophorum und der Initiative ProcessNet von DECHEMA und VDI an einer Modularisierung der Automation. Ein wichtiges Anliegen ist uns dabei, offene Standards statt proprietärer Schnittstellen zu schaffen. Nur so kann der Anwender Module verschiedener Hersteller und Funktionalitäten effizient miteinander kombinieren.

Wie wird das Thema Modularisierung außerhalb Europas gesehen?

  • __ Nils Weber: Aus China und Indien sind mir aktuell keine Aktivitäten bekannt; in den USA gibt es, wie zum Beispiel bei der OPAF, einige Entwicklungen, aber nicht im Sinne eines Moduls mit definierten Schnittstellen, offenen Standards und Interoperabilität. Wir sind da in Deutschland und Europa ganz weit vorn. Hier wurde das Potenzial erkannt und es befasst sich ein sehr großer Kreis von Firmen und Herstellern mit dem Thema – sehr viel größer als anderswo. Wenn man verschiedene Industriebereiche betrachtet, hat die Biotechnologie die Nase vorn in Sachen Modularisierung. Single-Use Einheiten für Fermentation und Aufarbeitung kann man bereits fertig konfiguriert kaufen, aber eben leider noch nicht mit offenen Schnittstellen.

Wann kann ich zu einem Hersteller gehen und eine modulare Chemieanlage bestellen?

  • __ Nils Weber: Das ist eine extrem spannende Frage – vielleicht in zehn oder fünfzehn Jahren? Für neue Technologien müssen sich ja immer beide Seiten begeistern, Hersteller und Anwender. Beide Seiten müssen sagen „wir wollen das Thema gemeinsam voranbringen“. Vielleicht zögern manche auch noch, weil noch nicht alle nötigen Normen veröffentlicht sind. International gültige Normen sind auch oft Treiber, auf die Hersteller warten, weil sie nur damit eine vernünftige Basis für ihre Entwicklung haben. Ich glaube, da muss in den Köpfen der Leute noch einiges passieren. Wir sollten uns ein Beispiel an der IT-Industrie nehmen; sie hat es in den letzten Jahrzehnten vorgemacht, ist viel offener geworden und es hat ihr nicht geschadet.

Über

Nils Weber ist seit dem 1. April 2020 Geschäftsführer der NAMUR. Nach seiner Ausbildung zum Chemikanten studierte er in Magdeburg Chemietechnik mit Schwerpunkt auf instrumenteller Analytik. In seiner Zeit bei Bayer und INVITE war er im Bereich Prozessanalysentechnik mit steigender Verantwortung aktiv, zuletzt als Principal Expert.
nils.weber[a]bayer.com
www.namur.net

 

Die Fragen stellte Marlene Etschmann.

Schlagwörter in diesem Artikel:

#modulare und vernetzte produktion

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